

So sieht Alltag heute aus: Ein Dentallabor wirbt mit dem Slogan „Komm ins Team“ – und ein neu gewählter amerikanischer Präsident unterzeichnet Dekrete zum Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen und der Weltgesundheitsorganisation WHO sowie zur Beendigung zahlreicher Programme zur Förderung von Vielfalt („Diversity“), insgesamt 80 sogenannte Executive Orders am ersten Amtstag. Was hat das mit Design zu tun, den scheinbar schönen Dingen des Lebens? Nun, Design ist längst mehr als die Summe von Produkten oder Räumen. Es ist ein effektives Instrument, wenn es darum geht, Menschen zusammenzubringen und Gemeinschaft zu formen. Gerade in Zeiten beschleunigten Wandels, geprägt von disruptiver Digitalisierung, Denk-Blasen und neuen Formen der Vereinzelung geht Design weit über das Sichtbare hinaus. Es ist sozialer Klebstoff. Denn es gestaltet mit am Rahmen, in dem sich Gemeinschaft entwickeln kann.
Doch wie genau gelingt das? Und welche Verantwortung trägt die Disziplin dabei? Genau diese Fragen diskutierte der Beirat der mcbw, eine hochkarätige Expert:innenrunde.

Beirat der mcbw
Der Beirat der mcbw unterstützt bayern design als Impulsgeber und Berater bei wichtigen strategischen Fragen. Dessen Mitglieder setzen sich mit aktuellen Designentwicklungen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Phänomenen auseinander und stehen als Brand Ambassadors für die mcbw. Von links nach rechts: Dr. Dewi Schönbeck, Geschäftsführerin der Steelcase GmbH; Boris Kochan, Präsident Deutscher Designtag; Hannes Ziesler, Head of Design Identity BMW Group (in Vertretung von Adrian van Hooydonk, Leiter BMW Group Design); Prof. Dr. Angelika Nollert (Direktorin Die Neue Sammlung – The Design Museum); Prof. Markus Frenzl, Prodekan, Institutsleiter dci, Fakultät für Design der Hochschule München.

Räume öffnen
„Klar“, lautete die eindeutige Antwort: „Gemeinschaft lässt sich gestalten, indem Rahmenbedingungen geschaffen werden.“ Das können Formate sein, in denen sich Gemeinschaft überhaupt findet und abbildet, Organisationen und Strukturen, aber auch ganz konkrete Dinge wie ein runder Tisch, an dem die Teilnehmer:innen der „Runde“ saßen und so zu einer „Diskussionsgemeinschaft“ wurden. „Säßen wir alle an Einzelpulten, gäbe es diese Gemeinschaft nicht.“

Zur physischen Gestaltung kommt also eine organisatorische, strukturelle Ebene, die über die Dynamik jeder Gemeinschaft entscheidet: „Design konzentriert sich nicht nur auf das Sichtbare“, sondern schafft unsichtbare Ebenen, die lebendige Orte prägen. Nennen wir es Atmosphäre und soziale Interaktionsmöglichkeiten – subtile Elemente, die Umgebungen erst begreifbar machen und Menschen unbewusst prägen. Dazu zählen auch Elemente wie gerichtetes Licht und flexible Tische in Arbeits- oder Besprechungsräumen, verstellbare Stühle und unterschiedliche Zonen, die verschiedenen Menschen entgegenkommen und ein Miteinander auf Augenhöhe unterstützen. So entsteht das Gegenteil einer hierarchischen Ordnung. Idealerweise unterstützt kluge Gestaltung die spezifischen Bedürfnisse vor Ort. Design ist ein aktiver Prozess, der physische, soziale und kulturelle Parameter umfasst und damit Begegnung und Austausch fördert. Insofern ist Design wesentlich für Gemeinschaft. Es schafft Freiräume, gedanklich wie räumlich.
Aktionen verbinden
Großereignisse wie die Olympischen Spiele zeigen eindrucksvoll, wie schnell Gemeinschaft entstehen kann. Eben führte Paris eindrücklich vor Augen, wie über Gestaltung Zugehörigkeit entsteht: Von der Farbgebung über die Typografie bis hin zu Veranstaltungsformaten wurde eine besondere Atmosphäre geschaffen, die Menschen zusammenbrachte. Und zwar nicht nur eine temporäre Gemeinschaft von Athlet:innen und Besucher:innen, sondern Menschen ganz unterschiedlicher Herkünfte und Ideen, Kulturen und Vorstellungen. Paris schuf ein kulturelles Erbe. So ließe sich generell sagen: Design wirkt offen und inklusiv, zum Beispiel durch eine von Gestalter:innen mitentworfene DIN-Norm für Leichte Sprache, die Teilhabe erleichtert und einen Perspektivwechsel schafft. „Design ist kein Prozess für die Gesellschaft, sondern mit der Gesellschaft.“ Ob urbane Mobilität, Inklusion oder Arbeitsplatzgestaltung – Zugehörigkeit entsteht vor allem durch Mitgestaltung. Statt also von außen oder von oben Lösungen aus der Retorte anzubieten, müssen Designer:innen immer wieder andere Perspektiven einbeziehen und integrativ wirken.
Design ist keine isolierte Disziplin, sondern kontextabhängige Gesellschaftsgestaltung. Und das unterscheidet sie von Kunst: Während Letztere oft subjektiv auftritt, agiert Design immer in sozialen Bezügen und schafft damit die Grundlage für Gemeinschaft selbst, als enge, direkte Verbindung von Menschen. Community Design ist eingebettet in den Kontext und die Bedürfnisse vor Ort. Grundlage jeder Designentscheidung sind Empathie, Diversität und Inklusion. So entstehen Räume und Strukturen, die Menschen einbeziehen und wertschätzen.

Gemeinschaft leben
Die fortschreitende Digitalisierung ist eine Herausforderung. Online-Plattformen und Social Media zeigen, dass Gemeinschaft auch virtuell entstehen kann – wenn auch oft unter problematischen Bedingungen von Filterblasen und algorithmischer Isolation. Design muss daher auch digitale Räume öffnen, Austausch und Vielfalt ermöglichen. Der technologische Wandel macht deutlich: Es geht nicht mehr nur um Artefakte, sondern um Soziofakte, um soziale Kontexte und Beziehungen, die durch technologische Systeme geprägt werden.
Design trägt eine immense Verantwortung, wenn es darum geht, Gemeinschaft zu stiften und soziale Strukturen zu stärken. Von der Raumgestaltung über digitale Plattformen bis hin zu Großveranstaltungen – in jedem Bereich hat es das Potenzial, unser Zusammenleben positiv zu prägen. Gemeinschaft entsteht dort, wo Design auf Empathie, Vielfalt und Partizipation trifft – und genau hier liegt eine große Chance.
Der Beitrag über den Beirat der mcbw erscheint außerdem im mcbw magazine 2025.