

„Ich bin ein großer Fan des Wortes ‚Gestaltung‘“
sagt Anders Warming, Head of BMW Group Designworks, Advanced Design & Design Identity. „Weil das Wort ‚Gestalt‘ darin steckt, etwas Körperliches. Beim Gestalten geben wir einem Produkt Leben. Und irgendwann steht das Fahrzeug beim Händler. Wir haben dieser Idee Gestalt gegeben.“ Dann fügt er hinzu: „Und dass wir das als ein großes Team gestalten, finde ich noch viel interessanter.“ Warming, Däne, Jahrgang 1972, ist ein gestalterisches Urgestein innerhalb der BMW Group. Er war BMW Head of Exterior Design und MINI Design Director, gründete 2019 mit der Warming Design GmbH sein eigenes Unternehmen und kehrte 2021 zur BMW Group zurück als Chefdesigner der Luxusmarke Rolls-Royce Motor Cars. In einem Vierteljahrhundert hat der Musikliebhaber erlebt, wie sich Teams verändern, nicht nur personell, sondern vor allem mit Blick auf Methoden und Aufgaben.

Design schafft Erlebnisse
„Der Entstehungsprozess ist deutlich vielfältiger geworden“, sagt Warming, der an zwei der renommiertesten Ausbildungsstätten der Automobilindustrie studierte: dem Art Center College of Design im Schweizer Vevey und dem ArtCenter College of Design in Pasadena, USA. Für Warming, hieß es einmal, sei Gestaltung die perfekte Balance zwischen Ingenieurskunst und Ästhetik. Daher mag seine Aussage überraschen: Um die gute, schöne oder spannende Form allein gehe es schon lange nicht mehr. Dafür sei das gesamthafte UX, die „User Experience“, ein wichtiger Bestandteil des Gestaltungsspielraums geworden – und damit auch die Frage, wie „wir digitale Medien mitgestalten und integrieren“. Plötzlich steht die Frage im Raum, wie sich das digitale Erlebnis von – sagen wir – einem Rolls-Royce anfühlen sollte. Und wie das von BMW-Produkten insgesamt, als Marke. Eine gute Frage: Wie ist eigentlich das digitale Erlebnis von BMW? Im besten Falle ein ganzheitliches Erlebnis. Statt der Form eines einzelnen Schalters geht es dabei längst um die beste markentypische Menüführung. An der Schnittstelle von Technik, Materialwissenschaften, Psychologie und Schönheit der Linie braucht es mehr als nur Spezialist:innen, die sich in ihren Silos austoben. „Deswegen ist für mich das ideale Team, wenn es neue Themen proaktiv integriert“, sagt Warming. Das gehe aber nicht einfach so, das verlange manchmal, über den eigenen Schatten zu springen: „Je mehr ich darüber weiß, wie etwas gebaut wird, desto mehr interessierte ich mich für neue Ideen.“

Schönheit allein ist langweilig
Warming macht klar: „Ob ich jetzt die Form schön finde oder nicht, ist im Prozess nicht immer der entscheidende Punkt.“ Viel wichtiger sei die Erkenntnis, dass „deutlich mehr Technologien deutlich früher in den Designprozess integriert werden können und müssen, um einer großen Idee gemeinsam Gestalt zu geben“. Sprich: die Idee eines Produktes zu gestalten durch „materialgerechtes Design“. Auch wenn diese „Materialien“ digital sind. Das braucht Gestalter:innen, die wissen, wie Materialien gefügt sein wollen und was sie von Werkzeugen verlangen können, wenn sie Bleche, Stoffe und Displays, Pixels und Menüs bearbeiten. Zusammen entzünden sich „ästhetische Möglichkeiten“. Wie aber geht das? Liegen da bunte Stifte rum und Knete, damit Manager:innen im Dialog mit Designer:innen aus ihren Komfortzonen kommen? Irgendwie schon – und doch ganz anders. Warming gibt ein Beispiel: Bei fast jedem Meeting greift jemand zum Flipchart und zeichnet auf, was sie oder er meint. Dann steht plötzlich ein Bild im Raum, das fokussiert. Und jemand anderes sagt: „Jetzt verstehe ich, was du meinst.“ Es ist ein Prozess – ein „Ich-im-Wir-Prozess“.

Bilder segeln durch den Raum
Die Macht der Bilder wird besonders in Workshops deutlich, in denen Menschen aus den unterschiedlichsten Bereichen zusammenkommen: Ingenieur:innen und Controller:innen, Produktionsspezialist:innen und Trendexpert:innen. Dann geht der Dialog in alle Richtungen. Worte und Bilder bringen Menschen zusammen. „Design inspiriert Veränderung“, sagt Warming. „Besonders durch Gefühle. Jeder kennt das, draußen im Freien in einer Runde um ein Feuer, spätabends, man unterhält sich angeregt. Kann es sein, dass wir uns so lebendig an das Gespräch erinnern, weil wir zugleich das Feuer im Gedächtnis haben?“ Wir reagieren auf Gerüche, Geräusche, Musik, sagt der Beatles-Fan. „Als Ich weiß ich, wie ich mich fühle, wenn ich etwas Besonderes höre. Und wir reagieren ebenfalls stark auf optische Impulse, die uns kognitiv beeinflussen.“ Gestaltung ist dann also die Kunst, all diese Ich-Erfahrungen zusammenzubringen und daraus Erlebnisse zu schaffen, die wir teilen können.
Eine letzte Sache: Wenn Teams derart mächtig sind, heißt das nun im Umkehrschluss, die Zeit der Autoren-Designer:innen ist endgültig vorbei? Warming zögert einen Augenblick: „Ich glaube nicht. Wir müssen nur realistisch damit umgehen. Wir alle leisten unseren Beitrag.“ Und selbst wenn wir in die Geschichte blickten, seien es nie nur Einzelkämpfer gewesen, auch wenn da berühmte Namen stehen. „Das ist nicht nur eine Person, war es auch nie.“ Für das 21. Jahrhundert heißt Transdisziplinarität: Wir müssen dafür sorgen, selbst über den Tellerrand zu blicken und neue, überraschende Perspektiven aus unerwarteten Richtungen aufzunehmen und in den Designprozess zu integrieren. Ganz im Gegensatz zu KI, die das Gewohnte auf ewig kombiniert und wiederholt und wiederholt und wiederholt. Design ist längst ein Teamsport geworden, der Menschen ganz unterschiedlicher Herkünfte und Ansichten vereint. Und so zum Modell werden könnte für eine recht komplexe und zerbrechliche Welt, in der wir zusammenleben.“.
Der Beitrag zu BMW Group erscheint außerdem im mcbw magazine 2025.