Indem wir die Welt wahrnehmen, ordnen wir sie. Das geschieht alltäglich, ohne dass es uns besonders bewusst wäre: Wir differenzieren, trennen, sortieren. Und jede Unterscheidung wertet: zwischen gut und schlecht, richtig und falsch, angenehm und unangenehm. Auf diese Weise entwickelt sich unsere Identität und Persönlichkeit. Denn in der permanenten Auseinandersetzung unseres Innen mit dem Außen entscheidet sich fortlaufend, was zu uns gehören soll und was wir ausgrenzen (beispielsweise Meinungen, Eigenschaften, Wertvorstellungen) – jedes „Ja“ impliziert immer auch ein „Nein“. So entstehen durch alltägliches Abgrenzen und Identifizieren Weltbilder und Identitäten: nicht nur persönlich und individuell, sondern auch in Bezug auf Gruppen, Organisationen, Gesellschaften. Dass diese Unterscheidungen selten eindeutig sind, liegt angesichts der Komplexität unserer Lebenswelten auf der Hand.
Egal wohin wir zurzeit blicken, erleben wir die Kraft des Trennenden stärker als die des Einenden. Dabei lehren uns die aktuellen Erfahrungen, dass die individuellen Wertvorstellungen genauso auseinanderdriften wie auf Ebene von Gruppen, Gesellschaften und politischen Systemen. Der sogenannte Gender Shift und die Ausdifferenzierung der tradierten Rollenmuster auch im Zuge der nachfolgenden Generationen spiegeln beispielhaft wider, wie sich nicht nur die persönlichen Lebenswelten, sondern auch Arbeitswelten und Sozialgefüge in kurzer Zeit massiv transformieren. Zugleich ist der Mensch zu einem der wichtigsten Einflussfaktoren auf die biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde geworden.
Es wird also gerade immer wichtiger, unsere häufig unbewussten Grenzziehungen zu überprüfen: Dazu braucht es Neugier und Offenheit. Im Alltag agieren wir jedoch meist in Opposition: Denn das Trennende stärkt immer auch das eigene Bejahte, das Prinzip der Konkurrenz hat im kollektiven Erfahrungsraum eine längere Erfolgsgeschichte als die Idee des Vermittelns und Kooperierens. Genau darin wiederum liegen die Chance und die Kunst des Gestaltens, das nur dann Kerndisziplin eines sinnstiftenden Zukunftshandelns wird, wenn in ihrem Fokus Menschlichkeit und Gemeinsinn stehen.