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Gemeinschaft ist ein komplexes Geflecht

Büros von morgen spiegeln die Diversität ihrer Menschen und machen Lust darauf, miteinander zu arbeiten. Wir sprechen mit Dr. Dewi Schönbeck, Architektin und Geschäftsführerin bei Steelcase.

„How to design a vibrant community“ lautet das Motto der diesjährigen mcbw. Muss Design nun auch noch Gemeinschaft stiften? Ist diese Aufgabe nicht ein bisschen zu groß?

Es ist doch ein Privileg und etwas Schönes, wenn Design einen Beitrag zur Gemeinschaft leisten kann. Gerade heute ist es wichtiger denn je, sie aktiv zu gestalten. Auch durch Design. Wir verbringen Stunden am Bildschirm, arbeiten remote und mit KI. Menschliche Interaktionen werden rarer. Umso wichtiger, dass wir das Ganze stärken und befördern. Da ist Design geradezu verpflichtet, einen Beitrag zu leisten. 

Wie öffnen wir uns zum Wir, zur Gemeinschaft?

Ganz automatisch. Wir können uns Design gar nicht entziehen, weil alles um uns herum, die gebaute Umwelt, unweigerlich Einfluss auf uns hat – ob wir es wollen oder nicht, im Positiven wie im Negativen. Zum einen auf das Wohlbefinden, aber auch darauf, wie Menschen sich verhalten. Wir sind einfach raumbeeinflusst. In einer Kathedrale sprechen wir ein bisschen leiser, manchmal sogar ehrfürchtig. Und im Fußballstadion fangen wir an, mitzusingen und für Stimmung zu sorgen. Raum macht etwas mit uns. Er beeinflusst unser Verhalten. Raum ist ja auch die Körpersprache von Organisationen. 

Körpersprache von Organisationen

Raum ist also nie neutral?

Nein. Wir können viel davon sprechen, dass sich Menschen hierarchiefrei begegnen und dass wir als Führungskräfte ansprechbar sind. Aber wenn der Raum etwas ganz anderes ausdrückt, abweisend ist oder es wenig Transparenz gibt, dann prägt auch das das Verhalten – und zwar negativ.

Wie sieht dein Büro aus? Oder hast du etwa gar keins mehr?

Tatsächlich habe ich kein Büro.

Daher sitzen wir also in einem Besprechungsraum im Erdgeschoss, der Tisch hat keine Kanten. Hinter uns Glaswände ...

... mit viel Transparenz bis hin zum Straßenraum. Ich liebe diese Räume, weil man hier die Urbanität der Augustenstraße mitkriegt. Wir haben Holz verbaut, das gibt Wärme. Dazu kommen vielfältige Formelemente, Farben und Materialien. Wir haben nur zwei, drei Räumlichkeiten, die abgeklebt sind, weil dort neue Produkte entwickelt werden. Was wir ausdrücken möchten, ist hohe Diversität.

Diversität im Raum

Und wie steht es damit hier in München?

Hier, in unserem LINC – Learning + Innovation Center – vereinen wir 30 Nationalitäten im Haus, bei ca. 250 Mitarbeiter:innen. Ich finde es einfach toll, auf diesen fünf Etagen ganz unterschiedliche Sprachen zu hören und so viel Internationalität zu haben: Menschen mit ganz unterschiedlichen fachlichen Hintergründen und Herkünften. Das macht uns aus. Und das drückt sich eben auch in der Art und Weise aus, wie wir Räume gestalten. 

Ein reglementiertes Corporate Design würde vermutlich gar nicht eurem Charakter entsprechen. Der ist zu vielfältig.

Genau – zumindest nicht im klassischen Sinne. Viele Unternehmen gehen übrigens weg davon, Corporate Farben als starre Vorgabe für die Farbgestaltung im Raum festzulegen. Inzwischen versucht man über die gebaute Umgebung eher die Werte der Unternehmen zu vermitteln. 

Welche Werte vermittelt München?

Offenheit und Miteinander. Man darf den Kulturkreis mit seinem local flavour auch im Büro spüren. Hier sieht es anders aus als an unseren Standorten in New York oder in Singapur. Wir orientieren uns bei der Bürogestaltung übrigens an den Schriften von Jane Jacobs.

Der Stadtplanerin?

Genau die; sie gibt uns Inspiration. Sie beschreibt, wie wir Stadträume gestalten, die lebendig sind. Diese Ansätze lassen sich auf das Büro übertragen. Wir nennen das Community-Based Design. Da geht es zum Beispiel um die richtige Dichte.

Balance und Dichte

Wo liegt die richtige Dichte im Büro?

Man braucht eine kritische Masse, um das Gefühl zu erzeugen „Hier ist was los“. Wir haben unser Büro mit Teams aus einem anderen Gebäudeteil verdichtet. Wir glauben an das Prinzip von Auswahl und Kontrolle – das heißt, wir können von zu Hause arbeiten und leben ein hybrides Arbeitsplatzmodell. Wir wollen allerdings mehr im Büro sein, weil wir fest an die Community glauben und innovationsgetrieben sind.

Innovation braucht Nähe?

Und Varianz sowie Vielfältigkeit an Räumen. Jetzt sitzen wir hier in einem hybriden Meetingraum. Er ist so gestaltet, dass sich auch Remote-Teilnehmer:innen bei einem Meeting wohlfühlen. Das nennen wir inklusives Design.

Also alle mitzunehmen ...,

... ist für uns ganz wichtig. Wir wollen, dass sich Nutzer:innen eingebunden fühlen. Theoretisch könnten wir hier zu zwölft sitzen, aber der Raum funktioniert auch zu zweit sehr gut. Diese Anpassungsfähigkeit, ja Multimodalität von Räumlichkeiten wird immer wichtiger.

Menschliches Wohlbefinden

Früher hieß Dichte: möglichst viele Menschen hineinzupressen und Raum aus Kostensicht optimal zu nutzen.

Solche Dichte bewirkt doch das Gegenteil. Da passiert weniger Kommunikation, weil die Leute denken, sie stören die anderen. Dieses Hühnerstangen-Prinzip ist kontraproduktiv. Heute geht es eher um Wohlbefinden und Freude bei der Arbeit als um reine Flächeneffizienz. Wir veröffentlichen regelmäßig unsere Forschungsergebnisse in unserem Magazin „Work Better“. Es gibt Statistiken, wonach sich 66 Prozent der Mitarbeiter:innen nicht wohl bei der Arbeit fühlen. Bei jüngeren Arbeitnehmern ist die Zahl sogar noch höher. 

Das erinnert irgendwie an meine Schule. Also selbst wenn es nur 30 Prozent wären, liefe doch was falsch, oder?

Der Raum hat eben Auswirkungen darauf, wie sich Menschen einbringen. Und wie viele Ideen sie mitbringen, wie sie sich engagieren. Es ist ein ganz wichtiger Aspekt, nicht nur für, sondern mit einer Community zu gestalten. Und es wird immer wichtiger, ein Spektrum anzubieten, das für alle etwas bietet. Eine Diversität an Räumlichkeiten.

Ist dafür das Mobiliar wirklich wichtig?

Es unterstützt bestimmte Szenarien und macht uns produktiver. Gemeinschaft ist schon ein komplexes Geflecht. Du musst ganz verschiedene Individuen mit ganz unterschiedlichen Hintergründen in Einklang bringen. Und das schaffst du nicht über das Einzelmobiliar, sondern über Raumkonfigurationen. Wir sagen dazu: Applikationen. Und es bedarf einer Abfolge, die sinnvoll ist und in der auch die Zwischenräume mitbedacht werden, die Übergangszonen. Letztlich geht es ja um die Nutzerbedürfnisse, also um Human-Centered Design. Es geht um die Menschen und nicht darum, dass es nur auf dem Foto richtig gut aussieht. 

Habe ich richtig verstanden? Design ist die Kultur des Zusammenlebens?

Es geht definitiv um Kultur. Und natürlich auch um Prozesse im Unternehmen, welche die Organisation ausmachen. Raum sehen wir als Enabler, der die Kultur beflügeln, aber auch schädigen kann. Gelebte Kultur ist immer eine Betaversion: Wir wollen uns immer weiterentwickeln. Unternehmen brauchen einen Purpose, eine Idee, bei der die Menschen sagen: Da habe ich Lust mitzumachen. Das ist die Grundlage, um eine Gemeinschaft und Kultur aufzubauen.

Der Beitrag zu Steelcase erscheint außerdem im mcbw magazine 2025.