MATERIALIEN WACHSEN LASSEN

– BMW GROUP

Kai Langer, Head of BMW i Design, hat eine Benchmark: die Effizienz der Natur.

Ab Herbst 2027 werden im traditionsreichen Werk der BMW Group in München-Milbertshofen nur noch Batteriefahrzeuge gefertigt. Diese Antriebswende markiert einen Wandel. Doch wie genau soll diese Zukunft aussehen? Wenn es jemand weiß, dann ist es Kai Langer, seit Juli 2019 Head of BMW i Design. Der Industriedesigner hat die Entwicklung der Marke von Anbeginn begleitet. Langer arbeitet seit über zwei Jahrzehnten im Unternehmen, er verantwortete bereits das BMW Group Advanced Design und war davor jahrelang erfolgreich als Designer für die Marke BMW tätig, bis er vor fünf Jahren BMW i übernahm.

Materialien für ein veganes Interieur

Kai Langer, dunkle Haare, Jeans und schwarzes Shirt, hat in Pforzheim studiert, Kaderschmiede des deutschen Automobildesigns. Kein Wunder, dass er gerne zeichnet. Aber statt einige flotte Linien aufs Papier zu skizzieren, spricht er lieber über die großen Linien der Zukunft. Die Transformation zur nachhaltigen Elektromobilität ist für ihn keine Frage von Konturen – geschweige denn von Spaltmaßen –, Langer sieht darin eine holistische Aufgabe, ein allumfassendes Konzept, das erst mal alles infrage stellt, was die Automobilindustrie in Jahrzehnten aufgebaut hat: „Es müssen komplett neue Strukturen, Prozesse, Werkzeuge, Technologien erfunden werden“, sagt er und gibt ein Beispiel. BMW war das erste Unternehmen, das die Produktion des BMW i3 im Werk Leipzig konsequent mit grüner Energie betrieb. Zu einer Zeit, als kaum jemand ahnte, was das für die bestehende Infrastruktur bedeuten würde, entstanden zusammen mit den Werkshallen gleich noch Windräder zur Stromerzeugung. Dazu kam ein neuer Werkstoff – Carbon – und veränderte Produktionsverfahren. Der dem BMW i3 zugrunde liegende Nachhaltigkeitsansatz begann zunächst mit Fragen: „Wie kriegen wir überhaupt die Produktionsstätte mit grünem Strom versorgt? Und welche Materialien können wir nutzen? Da war viel Akzeptanzarbeit zu leisten“, erinnert sich Langer. „Diese Herausforderung hat das gesamte Team und das Unternehmen sehr gerne angenommen, weil wir damit definieren konnten, in welche Richtung es geht.“

Nachhaltigkeit ist ein Baum

Langer hat längst seinen Frieden damit gemacht, dass er kein Fahrzeug mehr von Anfang bis Ende selbst zeichnet. Das ginge auch gar nicht. „Es gibt junge Leute im Team, die machen Sachen, da weiß ich gar nicht, wie sie das hinkriegen“, sagt ein ziemlich entspannter Head of BMW i Design. „Ich zeichne zwar immer noch gerne, das ist ja das, was ich ursprünglich gelernt habe, nicht meinen heutigen Job. Aber zum Glück diskutieren wir Designentwürfe untereinander, um zur besten Lösung zu gelangen. Und das ist meine heutige Aufgabe: Ich lasse mich inspirieren von meinem Team, möchte mich auch inspirieren lassen, und treffe dann eine Entscheidung.“

Langer vergleicht die wachsende Nachhaltigkeit der Fahrzeuge mit einem Baum, den sie gepflanzt hätten und der jetzt immer mehr Äste treibe und sich verzweige. Zirkularität ist der Schlüssel: „Wir müssen unseren CO2-Footprint signifikant reduzieren“, sagt der Designer. „Die ganze Welt muss das tun. Und wenn wir Verantwortung aktiv annehmen, dann muss das Unternehmen erkennen, wo der größte Stellhebel liegt.“ Ein ganz großer liegt in geschlossenen Materialkreisläufen. Nachwachsende Rohstoffe seien schon ziemlich gut. Noch viel besser aber sei es, alles komplett im Loop zu halten, wie die altbekannte Pfandflasche aus Glas. Um Kreisläufe anzugehen, heißt es, die vertraute Konstruktion eines Fahrzeugs bis zur letzten Schraube infrage zu stellen: „Wo muss ich die Bauteile trennen, damit sie überhaupt fähig sind, aus dem Material gebaut zu werden, das sich dann wieder in den zirkulären Kreislauf zurückführen lässt?“ Verkleben hat ausgedient, Schritt für Schritt geht es in Richtung Sortenreinheit und intelligente Demontage. Deshalb kann sich Langer für traditionelle japanische Häuser aus Holz begeistern, die ohne einen einzigen Nagel auskommen. „Echt cool. Da musste ich mir jede einzelne Verbindung anschauen, wie die Balken und Bretter gefügt wurden. Das ist Wahnsinn. Unglaublich, was da für eine gedankliche Vielfalt, handwerkliche Wertigkeit und intellektueller Luxus drinstecken.“

 

TRANSFORMATION IST NICHTS, WAS IRGENDWANN ABGESCHLOSSEN IST, SIE FINDET PERMANENT STATT.

 

Fahrzeuge müssen heute bereits zu 95 Prozent recyclingfähig sein. Dabei ist der Anteil an Sekundärmaterial, also wiederholt im Kreislauf verwendeter Stoffe, noch vergleichsweise niedrig. Da geht auf jeden Fall mehr, meint der Familienvater, der seine Verantwortung gegenüber den nächsten Generationen sieht. Je größer die Herausforderung, desto besser. „Ob Nachhaltigkeit oder Effizienz: Wir sind nie fertig, sondern permanent in Bewegung, um besser zu werden. Transformation ist nichts, was irgendwann abgeschlossen ist, sie findet permanent statt.“ Kein Wunder, dass sich manche Lösung für ein Problem wie eine Mondlandung anfühlt, zumindest bis die nächste Herausforderung auftaucht. Dadurch ergebe sich immer wieder eine neue Mondlandung. Und immer wieder eine neue Challenge.

Perfektion heißt Individualität

Wenn schon alles im Fluss ist, verändert sich nicht auch unser Blick auf die Welt? Unsere Einstellung zu dem, wie Premium auszusehen hat, wie es sich anfühlt? Perfektion bedeutete nämlich bislang, dass Teile, die nur optisch nicht passen wollten, aussortiert wurden. Langer sieht darin eher wieder eine Herausforderung. Die Menschen erwarteten ja die immer gleiche Qualität. „Und wir wollen jedes Auto exakt so reproduzieren, wie das Fahrzeug, das nebendran steht. Das kann aber womöglich mit unserem Nachhaltigkeitsanspruch kollidieren, nichts wegzuwerfen.“ Eine neue Ästhetik ist schließlich kein Fingerschnipsen. Wie aber wäre es mit individuellen Fahrzeugen, deren Materialien eigene, leicht veränderte Musterungen aufweisen können, wie etwa die Reifen „Vivid Blue Rubber“ einer aktuellen Studie? Oberflächen könnten eine Marmoroptik erhalten, Wärme und Freundlichkeit ausstrahlen und zugleich hohe Emotionalität. Dann sei jedes Teil plötzlich genau richtig, so, wie es aus dem Werkzeug komme. „Es hat Individualität. Design aber macht aus der vermeintlichen anfänglichen Not eine Tugend.“ Und dann holt Langer weiter aus: Man könne vollkommen nachhaltige Materialien am Körper tragen, die sehr bequem seien, Spaß machten und super aussähen. Produktionstechnisch in Kreisläufen zu denken, führe zurück zur Natur. „Wir haben Materialien, Visionary Materials, die wir zum Teil wachsen lassen, und die sehen fantastisch aus.“ Langer spricht von der Struktur einer Schneeflocke, von der Fibonacci-Folge. „Wir werden auch in Zukunft eine wunderschöne Ästhetik generieren können, mit nachhaltigen Materialien.“ Die Entwicklung gehe geradewegs dorthin.

Materialien sollen wachsen? Genau das. Hochtechnologie heißt inzwischen, auch auf die Natur zu schauen, denn sie arbeitet mit höchster Effizienz. „Wir waren bislang in unseren Fertigungstechnologien beschränkt, das exakt so zu reproduzieren“, sagt Langer und schwärmt von künftigen 3D-Druckern, die nichts anderes täten, als Dinge wachsen zu lassen. „Und so bekommen wir Schritt für Schritt höhere Effizienz. Wir brauchen zum Beispiel leistungsfähigere Drucker, die mit grünem Strom laufen.“ Schon bald könnte so vielleicht eine ganze Seitenwand in Sekundäraluminium gedruckt werden. Und statt Ersatzteile um die halbe Welt zu schicken, reichen genaue Angaben für Drucker auf anderen Erdteilen. Das ist, als ob ein Baumsamen über den Atlantik segelt und punktgenau einen neuen Ort zum Wachsen findet.