Die mcbw 2024 widmet sich diesem gesamtgesellschaftlich hochrelevanten Thema. Gemeinsam mit den Partner:innen und Interessierten wollen wir ausloten, wie Design in all seinen verschiedenartigen Spielarten dazu beitragen kann, dass wir lernen, (wieder) gemeinsam mit der Natur zu arbeiten, sie als Co-Designerin anzunehmen und gemeinsam mit ihr zu leben und zu wachsen: kollaborieren statt dominieren. Um diesen Überlegungen eine klare Richtung zu geben, haben wir ein Motto entwickelt, das auf den Punkt formuliert, worum es uns geht und worum es überhaupt gehen muss: „How to co-create with nature“.
Der Mensch stellt in der Geschichte unseres Planten eine Randnotiz dar. Zeitlich betrachtet. Anders sieht es hinsichtlich seines Impacts auf die Erde aus, das führen uns die verschiedensten Naturphänomene überall auf der Erde immer wieder vor Augen. Klar: Alle diese Ereignisse finden auch ohne das Zutun des Menschen statt. Nur nicht in dieser Häufigkeit und Intensität, ist sich die Wissenschaft sicher. Der Werdegang der Menschheit ist unlösbar mit dem der Erde verknüpft. Doch die Lebenswelten, die wir gestalten und produzieren, entfernen uns sukzessive von der Natur. Wissenschaftler:innen des Weizmann Institutes of Science in Israel haben im Jahr 2020 das Gewicht der anthropogenen Masse – also aller menschengemachter Materialen und Strukturen wie Stahl, Beton, Plastik oder Glas – auf 1,1 Teratonnen berechnet. Das bedeutete 2020 einen Gleichstand mit der Biomasse – und einen Wendepunkt. Denn während die Menge an Biomasse weitgehend konstant bleibt, wächst die anthropogene Masse seit jeher exponentiell an. Mittlerweile übersteigt sie das Gewicht aller Pflanzen, Tiere, Bakterien, etc., Forscher sprechen von einem neuen Zeitalter namens „Anthropozän“.
Maßgebliches Werkzeug zur Entwicklung und Herstellung der anthropogenen Masse waren und sind der menschliche Entwicklergeist und die Technologien. Diese haben unsere Welt aufgrund der fortschreitenden Spezialisierung innerhalb der Fachbereiche und Disziplinen zudem immer stärker zersplittert, übergreifende Zusammenhänge sind in unserer hyperkomplex gewordenen Welt schwieriger zu erkennen. Entsprechend disruptiv nehmen wir viele Entwicklungen der jüngeren Vergangenheit wahr, weil sie sich auf eine Vielzahl von Lebensbereichen auswirken und Domino-Effekte verursachen. Überall ist von Krisen zu lesen, wobei das in vielen Fällen genau genommen nicht richtig ist. Denn eine Krise ist etwas Temporäres, sie geht wieder vorüber. Hinsichtlich der sogenannten Rohstoff-, Energie- und Klimakrise müssen wir aber davon ausgehen, dass diese Herausforderungen uns zunächst einmal auf unbestimmte Zeit begleiten werden: Wir sind an einem Punkt angekommen, an dem die Herausforderungen unserer Welt auf die lang bewährte Weise – evolutionär, reproduktiv, optimierend – kaum mehr zu lösen sind. Wir müssen die Teile unserer Welt neu verknüpfen, um zu neuen Erkenntnissen und Lösungswegen zu gelangen. Besonders dringlich und zentral erscheint dabei die Natur und unser Umgang mit ihr.
Es wird höchste Zeit, unser Verständnis hinzuentwickeln zu einer holistischen Betrachtungsweise.
Natur wird gemeinhin definiert als das, was „da ist“, ohne vom Menschen geschaffen worden zu sein: Steine, Bäche, Flora, Fauna. Es handelt sich also um eine grundlegend materielle Begriffsklärung. Andere Stimmen besagen, dass beispielsweise auch das Meer in seiner heutigen Form (mit seiner Übersäuerung, den Fisch- und Korallenbeständen, den sich verändernden Golfströmen) vom Menschen zumindest mitgestaltet ist – oder der Wald, die Berghänge, etc. Umgekehrt kann man der Natur ebenfalls eine Gestaltungskraft und -macht zusprechen: Sämtliche Organismen sind aktiv und gestalten ihre Umwelt mit. Und auch das scheinbar „tote Material“ wie Sand, Steine, Felsen gestaltet unseren Umgang mit der Natur mit und führt zu völlig unterschiedlichen Kulturlandschaften in den Alpentälern und der Sahara, um zwei Extreme zu benennen. Während also die Menschheitsgeschichte oszilliert zwischen einem glorifizierenden Verständnis einerseits (die Natur schützen und bewahren) und einem kämpferischen Verhältnis andererseits (die Natur eindämmen und beherrschen), ist es höchste Zeit, unser Verständnis hinzuentwickeln zu einer holistischen Betrachtungsweise. Die Natur ist der Ursprung allen Lebens und damit auch des Menschen, sie ist die Grundlage unserer Existenz und Energiequelle. Mensch und Natur sind reziprok aufeinander bezogen: Sie befinden sich in einem wechselseitigen Spannungsverhältnis, die Grenzen verschwimmen. Damit befinden wir uns an der Schwelle einer neuen Ära: Wir müssen lernen, (wieder) gemeinsam mit der Natur zu arbeiten, sie als Co-Designerin anzunehmen und gemeinsam mit ihr zu leben und zu wachsen, anstatt sie regulieren zu wollen. Oder kurz: kollaborieren statt dominieren.
Wir wollen den Raum öffnen für inspirierende Einblicke, Visionen und Ansätze.
Dazu braucht es kreative Denker:innen, die es gewohnt sind, grenzüberschreitend zu denken, ungewohnte Perspektiven einzunehmen, türenöffnende Fragen zu stellen. Wir müssen Natur begreifen lernen in einer Vielzahl von Rollen: als Lehrerin und Nutznießerin genauso wie als Co-Designerin und sogar Ergebnis eines Designprozesses. Auch das Verständnis von Design muss sich weiterentwickeln (was ohnehin gerade passiert): Wir werden künftig weniger Dinge oder Räume designen und mehr Verhalten und Prozesse gestalten sowie Sichtweisen formulieren, um unsere Welt zu einem lebenswerten und zukunftsfähigen Ort für alle zu machen: Mensch, Flora, Fauna. Die mcbw 2024 widmet sich ganz diesem Thema: „How to co-create with nature“. Wir wollen den Raum öffnen für inspirierende Einblicke, Visionen und Ansätze – und Designer:innen, Künstler:innen, Architekt:innen, Unternehmer:innen, Ingenieur:innen, Digital-Expert:innen, Wissenschaftler:innen, Soziolog:innen, etc. gleichermaßen ansprechen. Denn wir wollen das „How“ betonen: Wie können wir in Ableitung von Naturprozessen lernen, effizientere und effektivere Verfahren zu entwickeln? Wie können wir Lösungen zum Schutze der Natur (und des Menschen) so denken, dass sie auch ein attraktives Geschäftsmodell bedienen und dadurch breitenwirksam werden? Wie können wir die Gestaltungskraft der Natur für kollaborative Innovationen nutzen, von denen „beide Seiten“ profitieren? Wie können wir die Grenzen zwischen Technologie und Natur durchlässig machen und beide zu neuen Erlebnissen verschränken? Wie können wir als Gestalter:innen Verhalten, Prozesse und Sichtweisen so beeinflussen, dass eine Mehrheit die Natur als lohnenswertes und im Grunde genommen einziges relevantes Ziel begreift?
Gemäß dieser zentralen Fragestellungen haben wir Fokusthemen definiert, die wir gemeinsam mit allen Partner:innen und Interessierten ausloten wollen:
1. Re-Learn! Designansätze nach dem Vorbild der Natur
Lernen von der Natur ist nicht neu: Schon immer hat der Mensch sich von der Natur zu Neuentwicklungen inspirieren lassen oder sie nach ihrem Vorbild geschaffen. Die Geschichte der Ingenieurskunst ist voll davon, angefangen bei Leonardo Da Vinci. Doch es wird Zeit, dass wir noch genauer hinsehen und lernen: Wie zum Beispiel passt sich die Natur an verändernde Rahmenbedingungen an? Wie „lernt“ sie? Wie kommuniziert sie beziehungsweise tauscht Informationen aus? Wie verteilt sie bedarfsgerecht oder zielorientiert Ressourcen? Wie stellt sie Farbe her? Aufbauend auf bionischen Ansätzen können wir auf diese Weise nicht nur viel über Lösungen („was“), sondern auch über Prozesse („wie“) lernen und Konzepte aus dem Tier- und Pflanzenreich aufgreifen und mit heutiger Technologie weiterentwickeln: von intelligentem Produzieren (SKO / Soft Skill Option) bis zu Bakterien als Energiespeicher.
2. Re-Generate! Designansätze zum Nutzen von Natur (und Mensch)
Klimaneutralität ist in aller Munde, Klimapositivität dagegen weniger. Genau darum geht es hier: der Natur nicht nur nichts nehmen, sondern bestenfalls sogar etwas geben. Denn die Natur zu bewahren, wird unterm Strich nur gelingen, wenn wir zugleich möglichst viele effektive Maßnahmen mit positivem Beitrag entwickeln (schon allein, um die weiterhin negativen Auswirkungen etwas auszugleichen). Kreislaufwirtschaft ist hier eines der zentralen Stichwörter: Aufbereitung und Wiederverwertung von bereits im Umlauf befindlichen Ressourcen. Aber auch Initiativen mit zusätzlichem Mehrwert wie beispielsweise Suchmaschinen mit angekoppelten Wiederaufforstungsprojekten oder aus Sonnenlicht energieerzeugende Radwege. Und wir müssen Services und Kommunikation so gestalten, dass sie erstens selbst und an sich nachhaltig sind und zweitens auf Nachhaltigkeit abzielen.
3. Co-Work! Designansätze in Kollaboration mit der Natur
Die Natur ist eine vielfältige Co-Designerin, wenn wir sie nur richtig involvieren. Im Handwerk der ursprünglichen Völker finden sich viele Beispiele, die sich mit aktuellen Technologien in neue Verfahrensweisen übersetzen lassen. Gegenstand intensiver Forschung sind hier etwa die Bereiche Architektur und Einrichtung. Spinnen und Raupen sind innovative Baumeister (um nur zwei zu nennen), die man an der Erstellung komplexer Strukturen beteiligen kann, aber auch Bäume (wachsende Brücken). Daneben ist Fashion ein beliebter Anwendungsbereich für Co-Creation mit Natur – sei es hinsichtlich der Materialien an sich oder aber des Designs (Weiterbearbeitung der Kleidungsstücke, beispielsweise Färbung durch Sonneneinwirkung, etc.).
4. Un-Limit! Designansätze, die Natur und Technologie verbinden
Der Mensch sehnt sich nach natürlichen, „echten Erlebnissen“ – immer schon, angesichts der fortschreitenden Digitalisierung und Virtualisierung unserer Lebenswelten mehr denn je. Die Lösung dafür kann keinesfalls (nur) in einem „Zurück zur Natur“ liegen, welches allein in den urbanen Ballungsräumen an eng gesteckte Grenzen stößt. Die aktuelle Kunstszene entwickelt interaktive Installationen, die das Verschmelzen von Technologie und Natur thematisieren und immersive Erlebnisse ermöglichen. Daneben gibt es aber auch bereits konkretere Ansätze mit wirtschaftlichem Nutzungsbezug, wie etwa Datenspeicherung durch Pflanzen oder pflanzenbasierte Home Automation. Auch unter der Überschrift Spekulatives Design oder zukunftskritisches Gestalten entstehen vor allem in FabLabs teils Gedankenspiele und Ansätze, die sich mit der Aufhebung der Grenzen zwischen Technologie und Natur beschäftigen, um eine Veränderung des Denkens zu bewirken (zum Beispiel AI-Tech-Wearables).
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