Es war ein Bild von einem modernen, weltaufgeschlossenen Deutschland, das Aicher bei den Spielen 1972 gegen alle Widerstände des IOCs vermitteln wollte. »Bei der visuellen Kommunikation musste alles aus einem Guss sein«, beschreibt Vossenkuhl Aichers damals bahnbrechendes Konzept. »Er hat den kompromisslosen Neuanfang gesucht. Endlich einmal etwas machen, was nicht einfach deutsch, national oder historisch war – und das ging bis hin zu den Anzügen der Polizisten, die er von André Courrèges entwerfen ließ.« Schließlich bekamen sogar alle städtischen Mitarbeiter·innen neue Bekleidung. Dabei war es Aicher besonders wichtig, dass keine Hierarchien oder Ränge erkennbar waren – keine Vorgesetzten, keine Untergebenen. »Das war natürlich auch der Geist der 68er«, erinnert sich de Riese. »Die Generation unserer Eltern hatte ja noch die Spiele 1936 bejubelt. Das wollten wir nicht mehr, sondern wir wollten etwas Neues schaffen. Aicher hat das personifiziert und das war an allen Schreibtischen der Abteilung 11, in der wir saßen, spürbar: Aicher wollte mit seiner Vorstellung von Design wirklich etwas verändern.« Wie tief durchdrungen Aicher von der Idee eines anderen Deutschlands gewesen sein muss, lässt eine Bemerkung Vossenkuhls über Aichers Jugend erahnen: »Man muss sich nur vorstellen, dass er einer von drei Schülern in Baden-Württemberg war, der nicht in die SS und die NSDAP eintrat und deswegen kein Abitur machen konnte. Nach dem Krieg bekam er dann ein Abitur geschenkt, damit er wenigstens noch studieren konnte.« Auch Aichers Ablehnung aller strengen Raster, die bis hin zu seinem berühmt-umstrittenen Schriftentwurf, der Rotis reichte, ist diesem widerständigen Geist zuzuschreiben, der allem Lebendigen zugetan war, das sich jedem strengen Reglement entzieht. Dabei war Aicher selbst keineswegs zurückhaltend, wenn es ihm um die Durchsetzung seiner Ideen ging. Oder wie Vossenkuhl ironisch meint: »Zwischen Otl und Aicher hat kein Blatt Papier gepasst.« Und so war er auch bei dem Farbkonzept der Münchner Spiele unnachgiebig und schloss alle Farben, die staatliche Macht repräsentieren könnten, radikal aus. »Es gab kein Rot, kein Schwarz und kein Gold», erinnert sich de Riese, »und ein klerikales Lila gab es auch nicht –, stattdessen gab es die Pastellfarben der bayerischen Landschaft, die grünen Wiesen, das Blau des Himmels.« Und es gab keine Werbung – zum letzten Mal bei Olympischen Spielen. Auch das hat Aicher durchgesetzt und bei Wilhelm Vossenkuhls klingt zwischen den Zeilen durch, dass Aicher dieses Werbeverbot durchaus robust betrieben hat: »Werbung fand er schlimm. Damit wollte er auf Teufel komm raus nichts zu tun haben. Also durften da auch keine Plakate zu sehen sein. Da war er unglaublich kritisch.« Eine kritische Haltung, die offenbar auch dem damaligen Bundeskanzler Willy Brandt zugesagt hat, denn zu Karsten de Rieses großer Überraschung tauchte der – und das auch mit Hans-Dietrich Gensch er und Walter Scheel im Gefolge – in der Abteilung IX auf, um sich über den Stand der Arbeit am Erscheinungsbild ein persönliches Bild zu machen.