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DIE FARBE LILA

 

Stadtbaurätin Prof. Dr. Elisabeth Merk wirbt für die umweltbewusste Stadt der Zukunft.

STADT MÜNCHEN REFERAT FÜR STADTPLANUNG UND BAUORDNUNG

OLIVER HERWIG: Wenn du einen Baum in der Stadt umarmen würdest und ihm danke sagen, welcher Baum wäre das – und wo stünde er?

PROF. DR. ELISABETH MERK: Das wäre eine Kastanie, und sie stünde wahrscheinlich am Übergang eines Biergartens zu einer Freifläche.

 

OH: Erholung wäre also das Thema?

EM: Ja, und zwar nicht irgendwo im Wald oder in den Isarauen, sondern am Übergang zum Wohnumfeld, wo man sich trifft, daher der Biergarten, ein klassischer Freiraum, eine kleine grüne Oase, wie es sie in München viele gibt, Begegnungsorte mit etwas Urbanität und Infrastruktur. Ein Stück Natur in der Stadt.

 

OH: Bürger:innen wollen Natur auch in der Stadt und fordern mehr Grünflächen. Wie hat das die Stadtplanung in den letzten Jahren verändert?

EM: Das ist ja ein ganz alter Wunsch, der immer dann aufkam, wenn die Stadt ein Stück wuchs. Da ging es darum, wo man wieder eine „grüne Lunge“ in der sich weiterentwickelnden Stadt organisiert. Jetzt merken wir, dass wir Parkmeilen schaffen müssen, um größere Grünflächen zusammenzubringen. Pocket-Parks, die zwei verschiedene, vielleicht ganz gut funktionierende Freiflächen verknüpfen. Es ist eine wichtige Zukunftsaufgabe, das Mikroklima der Stadtquartiere mit dem Stadtentwicklungsplan 2040 zu verbinden. Das eine ist, einen Park zu planen oder eine Frischluftschneise, das andere, Prozesse an neue Anforderungen anzupassen.

 

OH: Der Stadtentwicklungsplan 2040 ...

EM: ... ist digital und damit in der Lage, dynamische Elemente der Stadtentwicklung abzubilden, zu vernetzen und Szenarien zu ermöglichen. Immobilien sind ja per se nicht dynamisch, auch wenn sie sich verändern. Erstmals werden Klima, Energielandschaft und Freiraum nicht nur als Fachkapitel abgehandelt. Sie bilden neben dem Status quo auch Potenziale und Risiken ab. In gewisser Weise ist unser Stadtentwicklungsplan ein Transformationsbarometer. Wenn wir Gebäude und Entwicklungen so setzen, dass es mehr Luftstrom gibt und weniger Versiegelung, dann ist es besser.

 

OH: Wie sieht das konkret aus?

EM: Mein Lieblingsbeispiel ist das Gewerbeband von Steinhausen, also die Verlängerung der Prinzregentenstraße zur Messestadt Riem. Die Farbe Lila zeigt an: Es ist relativ heiß und trocken mit vielen befestigten Flächen. Es ist aber auch ein wichtiger Frischluftkorridor. Mit dem Rahmenplan Steinhausen können wir mit Projektentwickler:innen, Eigentümer:innen und auch Bürger:innen der anliegenden Viertel in den Dialog gehen. Ähnlich war es beim Wettbewerb Frankfurter Ring. Da schauen wir ganz konkret: Was können wir machen? Wahrscheinlich können wir die Welt nicht auf einen Schlag retten, aber man kann sie an diesen Orten eindeutig verbessern.

 

OH: Wie lassen sich Natur und Nachhaltigkeit konkret mit Gebäuden verbinden?

EM: Wir wissen ja schon ziemlich gut, wie wir so was entwickeln können. Das zeigen Pilotprojekte. Aber wir brauchen etwas, das wir für große Stadtquartiere wie für kleine Kommunen durchgängig umsetzen können, Pilotprojekt zur Alltagspraxis könnte man das nennen. Zudem müssen wir unterscheiden zwischen Bestand und Neubau. Im Neubau kann ich ja fast alles machen, und mittlerweile haben wir auch ganz interessante Konzepte für den Bestand. Aber reicht eine begrünte Fassade, um das Haus ökologisch zu machen? Und wie kriegen wir die CO2- und Hitzekurve nach unten? Das sind wichtige Themen für das Mikroklima und nicht nur gefühlte Wahrheiten. Die große Kastanie spendet Schatten. Ihre Verdunstung lässt sich gut berechnen, auch die Wassermenge, die sie aufsaugt. Aber es geht ja auch ums Wohlfühlen, dazu kann schon eine Fassadenbegrünung, ein kleiner grüner Platz oder ein neuer Baum im Viertel beitragen, auch wenn das unsere Klimabilanz nicht sofort verändert. Aber immer besser einer mehr als einer weniger.

 

OH: Warum ist das so schwer umzusetzen?

EM: Weil die Kosten weniger die Investitionen ausmachen, sondern die Kümmerer danach. Und ehrlich gesagt, da sind Bürgerinnen und Bürger auch nicht gerade vorbildlich. Denken Sie etwa an die beliebten Schottergärten, bei denen man sich wirklich fragt: Was sind das für herzlose Menschen, die so etwas anlegen? Insofern ist es nicht nur eine Frage, wie wir das in unseren großen Planungen und Liegenschaften umsetzen oder dort, wo wir über Bebauungspläne und Satzungen wirklich etwas erzwingen können, sondern wir brauchen auch die Bereitschaft der Menschen, denen Grün wichtig ist.

WAHRSCHEINLICH KÖNNEN WIR DIE WELT NICHT AUF EINEN SCHLAG RETTEN, ABER MAN KANN SIE AN DIESEN ORTEN EINDEUTIG VERBESSERN.

 

OH: Da hat sich aber viel getan.

EM: Stimmt. Was auf Balkonen oder Rest-Grünstreifen inzwischen blüht, wäre vor zehn Jahren nicht möglich gewesen. Ich bin da gar nicht so pessimistisch. Mein Paradebeispiel ist die Isar-Renaturierung: gemeinsam mit der Natur, für die Natur und die Menschen. Wir wollen das in ähnlicher Form wieder demonstrieren – diese Vereinbarkeit von Naturschutz, Renaturierung mit Erholungsaspekten und Hochwasserschutz.

 

OH: Große grüne Strukturen ...

EM: ... sind nicht nur in der Stadt, sondern auf einer regionalen Ebene nötig. Die Landwirtschaft spielt eine große Rolle, dazu kommen Anforderungen der Infrastruktur. Wir wollen keine Tiefgaragen mehr bauen, damit die Höfe besser bepflanzt werden können. Da haben wir schon viel auf den Weg gebracht. Im großen Stil geht es vielmehr um Fragen der Infrastruktur, etwa der Energieinfrastruktur, die uns extrem belasten wird. Unter Stromleitungen lassen sich keine Bäume pflanzen. Gehen wir besser zentral oder dezentral mit diesen großen Fragen um? Das erscheint mir ähnlich zukunftsweisend wie die Renaturierung in den 1980er und 1990er Jahren.