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ZUKUNFT IST VERANTWORTUNG

Ein Essay von ULI MAYER-JOHANSSEN

Mittlerweile verhält es sich mit der Frage
Was ist Nachhaltigkeit?
in etwa so wie mit der Frage
Was ist Zeit?
Was also ist die Zeit?

»Wenn niemand mich danach fragt,
weiß ich’s,
will ich’s aber einem Fragenden erklären,
weiß ich’s nicht.«

Der heilige Augustinus, elftes Kapitel der Bekenntnisse

Was ist Nachhaltigkeit?

Ein Begriff, der in den letzten Jahrzehnten traurige Berühmtheit erfahren hat. Betrachten wir die Welt und die dramatischen Veränderungen und Entwicklungen, ahnen, fühlen, wissen wir, was fehlt. Nähern wir uns der Frage, was sie konkret bedeutet, dann für uns als Menschen, als Gesellschaft, für Unternehmen, Industrie und Politik, macht sich Ratlosigkeit breit. Ein Begriff, der aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken ist, und dennoch bleibt die Frage, drängender denn je: Was ist Nachhaltigkeit?
Traurige Berühmtheit hat auch der Gegenpart von Nachhaltigkeit erfahren, das Greenwashing. Prominente Beispiele gibt es viele. Eines der eindrücklichsten ist BP. 2002 suggerierte BP mit der Neuaufladung seines Firmennamens und einem neuen Auftritt von »British Petroleum« in »Behind Petroleum«, gezielt Wege in die Nachhaltigkeit einzuschlagen. Jedoch all die vollmundigen Versprechungen blieben Lippenbekenntnisse und sollten die Weltöffentlichkeit in die Irre führen und ein etwa aufkeimendes Bewusstsein für Klima, Artensterben und großflächige Zerstörung ökologischer Lebensräume, ob Urwälder oder Meere, beruhigen. Viele Konzerne sollten folgen: Nestlé, Bayer, Adidas, Starbucks, Volkswagen und unzählige mehr.

Seit Kolonialisierung und Industrialisierung schreiten der Raubbau an natürlichen Ressourcen und die Zerstörung essenzieller Lebensräume in rasender Geschwindigkeit voran. Die Globalisierung hat diese Entwicklung noch katalysiert.

Denn sie wissen, was sie tun?
Oder »nach mir die Sündflut«.

Der Umweltwissenschaftler und Politiker Ernst Ulrich von Weizsäcker fordert in seinem 2018 erschienenen Buch Wir sind dran eine neue Aufklärung. Und mahnt an, dass wir mit Wahrheiten von gestern im Heute operieren. Der Meteorologe und Klimaforscher Mojib Latif, Präsident der Deutschen Gesellschaft Club of Rome, ruft auf zur »Allianz der Willigen« und zu lebensfördernden, positiven Zukunftsbildern. Und die Politökonomin und Transformationsforscherin Maja Göpel fordert eindringlich dazu auf, den Erkenntnissen aus Wissenschaft und Forschung endlich Gehör zu schenken und die Augen vor dem Augenscheinlichen nicht länger zu verschließen, wenn uns unser Überleben auf diesem Planeten lieb ist.

Es geht um nichts weniger als um eine neue Erzählung der Moderne.
Es geht darum, Kausalzusammenhänge aufzuzeigen.

Wir müssen Korrelationen, Kausalitäten und Wirkmechanismen erkennen und lernen, die Faktoren immer wieder neu einzuordnen. Und dabei geht es immer auch darum, Zugänge, Verständnis, Neugier und Interesse zu wecken.
In allen Disziplinen des Designs, ob Produkt-, Interior-, Textil-, Kommunikations- oder Webdesign, geht es darum, einer Idee oder einer Vorstellung Gestalt zu verleihen. Identität, Werte und Haltung zum Ausdruck zu bringen. Architektur formt Ikonen, Land- und Stadtbilder und ist von Beginn an Mittel der Macht und ein wirkmächtiges Mittel, Gesellschaften, Gemeinschaften und Kulturen zu formen. Sie schafft Zugänge oder Abgrenzung. Die Erfindung der Mauer ist ein ähnlich großer Einschnitt in der Entwicklung der Menschheit wie die Erfindung der beweglichen Lettern durch Gutenberg. Die Mauer setzt Grenzen, schafft ein Innen und ein Außen. Die beweglichen Lettern befreien das Wissen aus Klostermauern und Herrschaftshäusern und machen Hoheitswissen und Erkenntnisse der Allgemeinheit zugänglich. Narrative und Bilder werden mittels Gestaltung kreiert. Designer*innen und Kreative formen, was attraktiv und erstrebenswert ist. Worte, Konzepte oder Strategien werden in eine wahrnehmbare Gestalt übertragen. Design macht Dinge anschaulich und verständlich. Ist Instrument und Mittel zugleich. Und das seit Jahrtausenden.

Erst durch die Erfindung der Schrift entwickelte sich ein modernes Geschichtsbewusstsein, konnten Erkenntnisse bewahrt und für kommende Generationen aufgezeichnet werden.

Immer aber bedeutet Fortschritt auch Verlust. Homer nutzte Sprache und Gesang. Er besaß die ungeheure Gabe, Sinnbilder und Welten in seinen Erzählungen zum Leben zu erwecken. Ein Wissens- und Geschichtsspeicher, der angefangen von der Erfindung der Schrift durch technische Neuerungen bis hin zur Erfindung des World Wide Web und der unaufhaltsam fortschreitenden Digitalisierung unsere Welt und unsere Vorstellungen von ihr formt.

Doch wir bezahlen einen hohen Preis für all den Fortschritt und die Bequemlichkeiten, die uns zuteil werden.

Wir verlieren Fähigkeiten und Fertigkeiten und sind dabei immer weniger in der Lage, die immer komplexer werdende Technik selbst zu handhaben. Bis hin zu der Tatsache, dass es billiger ist, Produkte und Geräte zu entsorgen, anstatt sie zu reparieren. Häuser, Wohnkomplexe oder Fabriken werden nach wenigen Jahren, Jahrzehnten abgerissen. Alles wandert auf Müllberge, die ins Unendliche wachsen. Unser unentwegtes Streben und unsere unermüdlichen Bemühungen, die Dinge immer wieder zu verändern, Neues zu gestalten und uns die Welt anzueignen, hat uns ein neues Zeitalter beschert: das Anthropozän, eine neue geochronologische Epoche. Der Soziologe und Politikwissenschaftler Hartmut Rosa nennt diesen Drang unseres unentwegten Strebens »Weltreichweitenvergrößerung«.

Die Folge all dessen:
Wir leiden an einer »Weltbeziehungsstörung«.

Design und Verantwortung

Wir tragen Verantwortung. Designer*innen, Architekt*innen, Kreative tragen Verantwortung. Wenn es um nichts weniger als um eine neue Erzählung der Moderne geht, dann müssen wir erkennen, dass wir an der Genese der Vorstellungen, den Idealen und Weltbildern beteiligt sind, da wir Narrative mitgestalten und sie mit einer Vorstellungswelt aufladen. Wir können unsere Hände nicht in Unschuld waschen. »Behind Petroleum« war eine Schimäre und vermittelte im visuellen Auftritt etwas, was der Konzern nicht einlöste und noch nicht einmal beabsichtigte einzulösen. An ihren Taten sollt ihr sie erkennen …
Ein Beispiel von vielen, die mit groß angelegten Werbekampagnen vorgaukelten, in bester Absicht zu handeln. Doch allzu oft zeigt sich auf den zweiten Blick, dass die Unternehmen allein auf Umsatzsteigerung und Rendite abzielen. Geht es nur darum, den schönen Schein zu wahren, vergeuden wir wertvolle Ressourcen, und Unternehmen verpassen die Chance, Teil der Lösung zu sein und nicht nur Teil des Problems. Sinngemäß formulierte es der Geologe und Ökologe Daniel Dahm folgendermaßen:

»Wir leben seit rund hundert Jahren ein fehlgedeutetes Narrativ von Wachstum. Wir sehen nur den Nutzen unseres Wirtschaftens, nicht aber die tatsächlichen Kosten.«

Solange Unternehmen die Folgekosten an die Gemeinschaft auslagern können und dies keine Konsequenzen nach sich zieht, wird es kein Ende von Zerstörung und Raubbau an all den immer knapper werdenden Ressourcen geben. Wir haben uns darauf verständigt, Symptome zu behandeln, anstatt Ursachen zu beheben. »Ich sah an alles Tun, das unter der Sonne geschieht, und siehe, es war alles eitel und Haschen nach Wind.«1

Zukunft ist jetzt

Design kann Interdependenzen, Korrelationen und Sinnhaftigkeit unseres Handelns und Tuns verdeutlichen. Kann Zukunft im Jetzt gestalten, weil es Dinge veranschaulichen und die Konsequenzen herausarbeiten kann, um Ideen und Strategien zu überprüfen. Ich kenne kein Mittel, das mehr dazu beitragen könnte, Bewusstsein zu schaffen, einen Perspektivwechsel zu ermöglichen,Hintergründe und Zusammenhänge zu verdeutlichen und den Menschen etwas an die Hand zu geben, um Orientierung zu bieten, ohne zu manipulieren.
So wie die Zeit vom Bezugssystem abhängt, so ist unser Handeln davon abhängig, wie wir zur Welt stehen. Unser Verhältnis zur Welt und unsere Sichtweise prägen unser Leben und unsere Vorstellungen davon, wie wir leben wollen, und dies prägt unser Handeln. Lösungsansätze gibt es unendlich viele. Die Erkenntnisse aus Wissenschaft und Forschung weisen Gesellschaft, Unternehmen und Industrie und nicht zuletzt der Politik längst den Weg. Was also hindert uns daran, diese Herausforderungen anzunehmen und die Probleme, vor denen wir stehen, mutig und entschlossen anzugehen?
Spätestens seit Joseph Schumpeter, österreichischer Ökonom und Politiker, den sowjetischen Wirtschaftswissenschaftler Nikolai D. Kondratjew, der seine Erkenntnisse der zyklischen Konjunkturtheorie mit dem Leben bezahlte, für die westliche Welt wiederentdeckte, ist die Bedeutung zyklischer Veränderungsprozesse hinlänglich bekannt. Nicht erst seit gestern wird darüber gerätselt und geforscht, was weltweit nach Wellness und Digitalisierung der nächste große Wirtschaftstreiber sein könnte.

Immer deutlicher werden die Anzeichen, dass dies die Themen Materialgesundheit, Rezyklierbarkeit, erneuerbare Energien, Wassermanagement und Soziales sein werden.

»Doch uns ist gegeben, auf keiner Stätte zu ruhn, es schwinden, es fallen die leidenden Menschen blindlings von einer Stunde zur anderen, wie Wasser von Klippe zu Klippe geworfen Jahr lang ins Ungewisse hinab.«2 Seit Hölderlin diese Verse schrieb, ist viel Zeit ins Land gegangen.
Wollen wir nicht endlos von Klippe zu Klippe fallen, müssen wir jetzt handeln. Worauf warten wir noch?

Uli Mayer-Johanssen – Initiatorin und Seele von Designing Future. In über 30 Jahren, in denen sie Hunderte Markenprozesse verantwortete und begleitete, zeigte sich immer deutlicher, wie entscheidend eine klare Vorstellung von der Zukunft für Unternehmen und Marken ist, ob Kulturinstitutionen, internationale Konzerne oder Regionen. Nach 25 Jahren MetaDesign, die zu den renommiertesten Markenagenturen Deutschlands zählt, erweiterte sich das Themenspektrum um systemische Nachhaltigkeitsfragen. 2018 wurde Uli Mayer-Johanssen als Mitglied in die Deutsche Gesellschaft Club of Rome berufen und 2019 ins Präsidium gewählt.

1 Lutherbibel, Altes Testament. Der Prediger Salomo (Pred 1.14)
2 Friedrich Hölderlin, Hyperion, lyrischer Briefroman 1797 und 1799