Adrian van Hooydonk steht seit Februar 2009 an der Spitze aller Designteams der BMW Group. Er verantwortet damit die Gestaltgebung einer Vielzahl von Fahrzeugen, Motorrädern und anderen Designobjekten pro Jahr. Der Niederländer gilt als interdisziplinär denkender Visionär mit ausgeprägtem Sinn fürs Business. Souverän und stilsicher ist sein Auftritt, offen seine Grundhaltung. Adrian van Hooydonk hat sich als Designmanager in der Industrie einen Namen gemacht, seine Visionen gelten als wegweisend.
DESIGN UNTER STROM
Im Gespräch mit ADRIAN VON HOOYDONK
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Charakter und Individualität befördern sich gegenseitig – Freude am Fahren findet immer wieder neuen Ausdruck, im Produkt, in der Kommunikation, aber auch in der generellen Ausrichtung der Marke BMW. Das erfolgreiche Zusammenspiel zwischen technischer Raffinesse und nachhaltigem Design ermöglicht Prägnanz – und darf damit auch provozieren: Wie viel Niere darf es denn bitte sein? Eine Frage, die immer wieder neu beantwortet wird und deren gestalterische Antwort gerne auch mal erst irritiert. Welche Rolle spielt Design innerhalb des Unternehmens heute, und welche Verantwortung trägt Design für die Zukunft der Gesellschaft? Drei Zitate von Bruno Latour, Friedrich von Borries und Michael Braungart dienten als Vorbereitung und Struktur für den
virtuellen Spaziergang von Adrian van Hooydonk mit Boris Kochan durch die BMW-Welt(en).
»Jeder, der heute ein iPhone benutzt, weiß, dass es absurd wäre, das, was daran designt wurde, von dem unterscheiden zu wollen, was daran geplant, berechnet, gruppiert, arrangiert, zusammengefasst, verpackt, definiert, projektiert, gebastelt, disponiert, programmiert und so weiter wurde.«
(Bruno Latour)
Design wird mehr und mehr zum Vermittler zwischen den Gewerken einer immer komplexer werdenden Produktionskette, erzählt Adrian van Hooydonk: Ideen nehmen bei BMW heute Struktur an, indem – traditionelle und auch hierarchisch geprägte – Grenzen zu Technik und Modellbau, Marketing und Kommunikation aufgelöst werden. Auf neu konzipierter Studiofläche gewinnt die schon seit einiger Zeit gelebte interdisziplinäre Arbeitsweise nun auch räumlich Gestalt. »Für mich ist Industriedesign eine Mischung aus Kunst und Ingenieurwissenschaft: Wir wollen zusammen mit den Technikern funktionelle Probleme lösen und gleichzeitig den Kunden emotional ansprechen – Produkte schaffen, die das Leben lebenswerter machen. Damit das im Unternehmen funktioniert, muss Design akzeptiert sein wie jede andere Kompetenz.
Nur: Techniker können beweisen, ob sie alles richtig machen. Designer brauchen das Vertrauen des Managements. Und die Geduld abzuwarten, wie der Kunde reagiert. Design erspürt mit feinen Antennen den Puls der Gesellschaft, antizipiert die daraus entspringenden Strömungen … oder aber verursacht diese sogar auch.« Gerade Automobildesign steht in besonderer Weise für dieses spannende Wechselverhältnis…
»Design […] ist ein Doppelwesen, das gleichzeitig der Welt der Kunst (mit all ihrer Freiheit) und der Welt der Ökonomie (mit all ihrer Wirkmächtigkeit) angehört. Als nicht rein deskriptive, sondern intervenierende Disziplin formt es die Welt, in der wir leben. Es kann mit seinen Übersetzungen und Formungen der Welt – wenn sie verantwortungsbewusst erfolgen – Wege zur Verbesserung der Welt aufzeigen…«
(Friedrich von Borries)
Das eigene Auto als Hort der Sicherheit … auch für BMW war das ein überraschender – von COVID getragener – Imagegewinn für das seit Langem nicht nur unter ökologischen Gesichtspunkten in der Kritik stehende Fortbewegungsmittel. Adrian van Hooydonk sieht das allerdings als einen eher vorübergehenden Effekt. Vielleicht werden jedoch die während der Pandemie veränderten Arbeitsweisen ganz neue Anforderungen an die Mobilität stellen und das Interesse am autonomen Fahren beschleunigen? »Wie schnell wir dahin kommen, ist schwer zu sagen. Primär haben die Menschen Angst vor Künstlicher Intelligenz. Der Verstand begreift zwar die Vorteile und akzeptiert, dass so zum Beispiel viele Unfälle vermieden werden können. Aber niemand will die Kontrolle aus der Hand geben. Deshalb ist es auch erst einmal unvorstellbar, auf das Lenkrad im Fahrzeug zu verzichten. Es gehört zu unserer gesellschaftlichen Verantwortung als Designer, Akzeptanz für neue Technologien schaffen. Die Nutzer müssen spüren, das funktioniert richtig gut: Weil jemand darüber nachgedacht hat und sich die Ergebnisse intuitiv hervorragend nutzen lassen. Und das geht sogar weiter: Der Endverbraucher will sich keine Gedanken über Nachhaltigkeit machen, wir Designer müssen die komplette Entwicklungsgeschichte eines Produkts bedenken bis hin zum Afterlife.«
»Die Menschen haben primär kein Problem der Umweltverschmutzung, sie haben ein Designproblem. Wenn die Menschen die Produkte […] von Anfang an intelligenter gestalten würden, müssten sie an Dinge wie Verschwendung, Verschmutzung oder Mangel nicht einmal denken. Gutes Design würde für Überfluss, ewige Wiederverwendung und Vergnügen sorgen.«
(Michael Braungart)
»Um das Pariser Klimaabkommen mit seinen Zielen für 2030 und 2040 zu erfüllen, brauchen wir eine Kette von Veränderungen und das schnell. Ich arbeite in einer Industrie mit einer Entwicklungszeit von drei bis vier Jahren. Dann bleiben die Produkte im Durchschnitt sieben Jahre im Markt. Damit sind also schon zehn Jahre von diesen 20 belegt … Es muss also sofort losgehen, flächendeckend, BMW-Lieferanten, Politik, Infrastruktur, Städte. Große Länder wie China in eine gewisse Ausrichtung zu bringen, das lässt sich relativ flott hinbekommen, wenn die Politik es will. Aber Europa als Sammelsurium von unterschiedlichen Staaten ist da klar im Nachteil.« Ob denn rasches, entschlossenes Handeln nicht Verbote und Reduktionen verlange, die dem Unternehmensclaim von BMW völlig zuwiderlaufen? Adrian van Hooydonk glaubt weiterhin an die Freude am Fahren. »Wir kennen uns mit effizienter Dynamik aus – das ist der rationale Teil. Den müssen wir so gestalten, dass Emotion spürbar ist. Das ist mit Elektromobilität nicht besonders schwierig – aber vor allem verbunden mit der Digitalisierung. Wir wollen die Zeit, die man im Auto verbringt, interessanter, lebenswerter und emotionaler machen. Und im Hintergrund die notwendigen Dinge umsetzen. Wobei man wissen muss, dass unsere Konsumenten weltweit unterschiedlich sind. Nur in Europa schleppt man ständig ein Schuldgefühl mit sich herum. In China versteht man Nachhaltigkeit ganz anders – dort will sich niemand in seinem Lebensgefühl einschränken. Die Menschen dort wollen nur, dass für ihre Sicherheit und die ihrer Familie alles getan wird, auch für die nächste Generation. Sie beschäftigen sich dazu nicht mit dem Planeten, sondern mit ihrem direkten Umfeld. Für diesen Markt ist das die Stelle, an der man ansetzen muss. Ich bin aber sicher: Wir werden es dabei auch für den Planeten besser machen.« [bk]